A-03 Abschaffung der Sanktionspraxis im Sozialgesetzbuch II

Status:
Zurückgezogen

Der Landesparteitag der SPD Sachsen möge beschließen und an den SPD-Bundesparteitag weiterleiten:

Wir sprechen uns für die Abschaffung der im Sozialgesetzbuch II verankerten Sanktionspraxis für die Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II aus. Die im § 31 bis § 32 SGB II vorgesehenen Sanktionen können bis zum Komplettentzug aller Leistungen führen. Aus unserer Sicht darf das soziokulturelle Existenzminimum, das durch den Bezug von Arbeitslosengeld II in sehr bescheidenen Maße gedeckt wird, bei keinem Menschen in unserer Gesellschaft untergraben werden. Wir fordern stattdessen ein deutliches Umsteuern in der Arbeitsvermittlung, das den Fokus mehr auf positive Anreize und weniger auf bürokratisch besonders aufwändige Kontrollmechanismen lenkt.

 

Begründung:
Sanktionen gehörten bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Sozialgesetzbuches II am 1. Januar 2005 zu den Regelungen, die Arbeitslose im Rahmen der arbeitsförderungsrechtlichen Sperrzeitenregimes (§ 159 SGB III) oder der sozialhilferechtlichen Kürzungsvorschriften (§ 26 SGB XII3 bzw. § 39a SGB XII) treffen konnten. Dahingehend wurden die bestehenden Regelungen nur fortentwickelt und an einigen Stellen verschärft. Eine ganz neue Qualität besitzt hingegen die verschärfte Sanktionspraxis bei unter 25-jährigen Arbeitssuchenden, die schon bei der zweiten „Pflichtverletzung“ Anspruch auf keinerlei Leistungen haben, inklusive der Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Die Sanktionspraxis ist aber in grundlegender Hinsicht zweifelhaft. Es stellt sich zunächst die Frage, ob das Kürzen des soziokulturellen Existenzminimums in einem reichen Land wie Deutschland überhaupt eine Option sein darf. Auch der vermeintliche Verstoß gegen behördliche Auflagen und Anweisungen sollte einem Menschen nicht das Recht entziehen, zumindest am unteren Ende des soziokulturellen Existenzminiums gesellschaftlich teilzuhaben. Dies gilt umso mehr, weil Sanktionen eben vielfach nicht nur die Betroffenen treffen, sondern eben auch im Haushalt lebende Kinder tangieren, die dann im Extremfall auch nur noch über Lebensmittelgutscheine versorgt werden. Es muss weiterhin festgestellt werden, dass die Anwendung der Sanktionen in vielen Fällen rechtswidrig ist und innerhalb von Deutschland keineswegs einheitlich gehandhabt wird. So hatten bei entsprechenden Klagen im Jahr 2014 insgesamt 42,5 Prozent der Klägerinnen und Kläger zumindest teilweise Erfolg. Auch bei den deutlich zahlreicheren Widersprüchen betrug der entsprechende Anteil über 36 Prozent. Diese Resultate verwundern kaum, wenn man die Ergebnisse einer (nichtrepräsentativen) Befragung der Hans-Böckler-Stiftung betrachtet, die bei unterschiedlichen Mitarbeitern Sanktionsquoten von 0,43 Prozent bis 22,5 Prozent ergab. Ein so gravierender Einschnitt in das Leben von Menschen sollte nicht auf rechtlich wackligen oder gar willkürlichen Argumentationen basieren. Der Kürzungsgrund „unterlassene Mitwirkung“ bietet leider aber recht große Spielräume. Zudem lohnt auch die genauere Betrachtung der Fragestellung, ob Sanktionen den mit ihnen verbundenen Zweck überhaupt erfüllen. Im Mittelpunkt stehen hier einerseits finanzielle Erwägungen und andererseits natürlich die Erhöhung der Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme. Beim ersten Punkt kann mit Blick auf die große Zahl an (oft erfolgreichen) Widersprüchen und Klagen, den insgesamt hohen Aufwand, um eine Kürzung von durchschnittlich 107 Euro zu erreichen und z.B. die U25-Ausnahmetatbestände, zumindest bezweifelt werden, ob hier gesamtgesellschaftlich eine wirklich signifikante Einsparung erzielt werden kann. Bei der Erhöhung der Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme konnte in entsprechenden Studien tatsächlich ein gewisser Effekt nachgewiesen werden. Arbeitssuchende nehmen schneller eine neue Beschäftigung auf. Allerdings sind diese Arbeitsverhältnisse geringer entlohnt und weisen schlechtere Arbeitsbedingungen auf. Zudem verringert sich die durchschnittliche zeitliche Dauer des neuen Beschäftigungsverhältnisses, sodass Betroffene schneller wieder in das staatliche Hilfesystem rutschen. Zudem gibt es Anzeichen, dass bei Sanktionen mehr Arbeitssuchende komplett vom Arbeitsmarkt verschwinden, also weder einer Beschäftigung nachgehen, noch arbeitssuchend (oder in anderen Sozialleistungen) sind. Mit Blick auf Phänomene wie Schwarzarbeit oder Kriminalität dürfte dies kaum im staatlichen Interesse liegen. Abschließend sollte auch der Blick auf die persönlichen Konsequenzen eines solchen Leistungsentzugs nachdenklich machen. Wer nicht auf die Hilfe von Freund*innen oder Verwandten zurückgreifen kann, der/die kürzt seine/ihre persönlichen Ausgaben (z.B. bei der Ernährung) massiv, begibt sich vielfach in die Verschuldung und fühlt sich sozial (mangels entsprechender Unternehmungen) oft isoliert. Quellen: Zahlenangaben und Studien entsprechend der offiziellen Arbeitsmarktstatistik oder aus library.fes.de/pdf-files/wiso/10601.pdf (Sanktionen im SGB II - Verfassungsrechtliche Legitimität, ökonomische Wirkungsforschung und Handlungsoptionen; Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, März 2014, insbesondere Seiten 24 bis 34)
Empfehlung der Antragskommission:
Diskussion durch den Parteitag
Änderungsanträge
Status Kürzel Zeile AntragstellerInnen Text PDF
Nicht Abgestimmt ÄA1 zum A-03 1 Heiko Bär Der Antrag wird wie folgt gefasst: Der Landesparteitag der SPD Sachsen möge beschließen und an den SPD-Bundesparteitag weiterleiten: Wir sprechen uns für die Abschaffung der im Sozialgesetzbuch II verankerten Sonderregelung der Sanktionspraxis für die unter 25-jährige Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II aus. Die im §31 bis §32 SGBII vorgesehenen Sanktionen können bis zum Komplettentzug aller Leistungen führen. Aus unserer Sicht darf das soziokulturelle Existenzminimum, das durch den Bezug von Arbeitslosengeld II in sehr bescheidenen Maße gedeckt wird, bei keinem Menschen in unserer Gesellschaft untergraben werden. Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie Beiträge zur Krankenversicherung dürfen grundsätzlich nicht gestrichen werden. Für die Sanktionspraxis ist den Jobcentern ein Ermessen bei der Verhängung von Sanktionen einzuräumen. Wir fordern stattdessen ein deutliches Umsteuern in der Arbeitsvermittlung, das den Fokus mehr auf positive Anreize und weniger auf bürokratisch besonders aufwändige Kontrollmechanismen lenkt. Eine organisatorische Trennung von Arbeitsvermittlung und Leistungsbezug in den Jobcentern ist deshalb zu prüfen.   Begründung: Die Sanktionspraxis bei Pflichtverletzungen im ALG-II-Bezug führt zu sozialpolitisch nicht wünschbaren Folgen wie Schuldenanhäufung, Wohnungsverlust oder gar Kriminalität. Es wird ein Übermaß des „Forderns“ kritisiert. Der völlige Verzicht auf Sanktionen führt jedoch zu weit. Es entstehen neue Ungerechtigkeiten gegenüber geringverdienenden Arbeitnehmern und dem Steuerzahler. Die Streichung der Sonderregelunge bei unter 25-jährigen ist bereits Position der SPD-Bundestagsfraktion. Daneben bestehen weitere Möglichkeiten, problematische Regelungen, wie den Komplettentzug bis hin zu Kosten von Unterkunft und Heizung oder Krankenversicherung zu streichen. Auch die Verantwortung der Jobcenter vor Ort, die mit Ermessensspielräumen viel mehr auch die individuellen Situationen eingehen können, sollte gestärkt werden. Zuletzt kann auch die Zielwirkung der Doppelfunktion des Arbeitsvermittlers als Dienstleister einerseits und Kontrolleur andererseits hinterfragt werden. Da dies ein erheblicher Eingriff in die Organisation der Jobcenter ist, soll dies im Antrag lediglich als Prüfauftrag weitergegeben werden. Änderungsantrag (PDF)